Zukunftsfähige Gesundheitspolitik durch gender mainstreaming?!
Frauen - Gesundheit - Politik

So lautete das Thema einer öffentlichen Podiumsdiskussion am 27. Februar 2002 im halleschen Haus der Fraktionen. Eingeladen hatten dazu der Bildungsverein ELBE-SAALE , die Landesvereinigung für Gesundheit Sachsen-Anhalt e.V. und das Netzwerk "Frauen und Gesundheit".
Vorbereitet wurde sie in Kooperation mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Halle/Saale.
Den Anlaß für diese Veranstaltung boten die bevorstehenden Wahlen auf Landes- und Bundesebene, bei denen es auch um die Tragfähigkeit gesundheitspolitischer Konzepte der Parteien gehen wird und damit im Zusammenhang um Positionen zu gender mainsstreaming im Gesundheitswesen. Zum Meinungsaustausch darüber und zur Beantwortung von Fragen der über 30 - mit einer Ausnahme - weiblichen Teilnehmer hatten sich Politikerinnen von SPD, PDS, Bündnis 90/Die Grünen und CDU bereiterklärt. Schon ihre kurzen Statements am Anfang deuteten auf einen interessanten Nachmittag hin. Unbestritten seien inzwischen - so der gemeinsame Ansatz - geschlechtsspezifische Unterschiede im Umgang mit Gesundheit und Krankheit, in bezug auf Häufigkeiten, Ursachen, Symptome, Verlauf und Ausprägung von Krankheiten. - Wie aber soll dem künftig auf der Ebene der Gesundheitspolitik, der Gesundheitsversorgung und -förderung, der medizinischen Forschung-, Aus- und Weiterbildung Rechnung getragen werden?
Inés Brock (Bündnis 90/Die Grünen) verwies auf die notwendige Einbindung der Geschlechts-, vor allem Frauenspezifik in die Gesundheitsziele von Sachsen-Anhalt. Darauf müsse nach ihrer Auffassung eine gezielte Datenermittlung vor Ort aufbauen. Nicht zugelassen werden dürfe, daß der Politik des gender mainstreaming, die Ungleichbehandlung von Frauen und Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen beseitigen helfen soll, über lange Zeit gewachsene frauenspezische Projekte zum Opfer fallen. Hinsichtlich der Gesundheitsbetreuung und -versorgung unterstrich sie den großen Behandlungsbedarf bei Frauen. Bestimmte Krankheiten (z.B. Herz-Kreislauf, Depressionen) erforderten eine stärkere Spezialisierung. Die Zahl unnötiger Operationen sei zu hoch. Wie auf anderen Gebieten werde auch in der Gesundheitspolitik das Engagement der Frauen selbst immer wichtiger. Brock dazu u.a. wörtlich: " Wo es keine Anträge gibt, gibt es auch keine Bewilligungen."
"Wir sind bei gender mainstreaming erst am Anfang."- So begann Gerda Krause die Positionen ihrer Partei, der PDS, zu erläutern. Die Gesetzgebung zu dieser Strategie in Sachsen-Anhalt sei beispielgebend für andere Bundesländer. Das ganze Problem müsse - auch unter Berücksichtigung der Realisierbarkeit - in die Debatte zur Gesundheitsreform in der BRD eingebracht werden. Nicht alle Fragen des gender mainstreaming könnten von Parteien und Mandatsträgern bewältigt werden. Ihre Aufgabe bestünde vor allem darin, das Thema öffentlichkeitswirksam zu machen, Frauen zu bestärken, Macht ausüben zu wollen. In bezug auf Fragen der Gesundheitsversorgung und -förderung, insbesondere der Über- bzw. Unterversorgung, komme der Verständigung zwischen der Landesvereinigung für Gesundheit, medizinischen Fachkräften und Einrichtungen eine große Bedeutung zu. Die PDS trete für den Erhalt frauenspezifischer Beratungsstellen ein. Die Finanzierung erweise sich jedoch aufgrund der Zwänge des Haushalts als schwierig. In diesem Zusammenhang müsse das Konzept ihrer Partei zur "Sozialpauschale", das den Kommunen größere Handlungsfreiheit und Verantwortung übertragen will, auf seine Machbarkeit und Effizienz hin geprüft werden.
Nach Meinung von Brunhilde Liebrecht, Vertreterin der CDU, hat bereits der Gesundheitsbericht 2000 des Landes Sachsen-Anhalt viele Probleme sichtbar gemacht. Bedauerlich sei deshalb die Tatsache, daß das geschlechtsspezifische Herangehen in Gesundheitspolitik und Gesundheitswesen bisher noch nicht im Landtag thematisiert wurde. In der nächsten Legislaturperiode müsse es aus ihrer Sicht parteiübergreifend angegangen werden. Modellprojekte zu frauenspezifischen Erkrankungen (z.B. Brustkrebs) liefen zwar in einigen alten Bundesländern, warum - so ihre Frage - nicht auch in Ostdeutschland? Mit Erscheinungen von Über- und Unterversorgung, nicht eindeutig bestimmten Qualitätskriterien in der Krankenversorgung, Nachteilen für Frauen durch die Budgetierung, Defiziten in bezug auf die Weiterbildung medizinischen Personals sprach sie nur einige Fragen an, um die es künftig gehen wird.
Renate Schmidt, SPD-Landespolitikerin, verwies in ihrem Statement auf den ersten Frauengesundheitsbericht der BRD, der für sie voll "gegendert" sei. Auch die Gesundheitsziele des Landes Sachsen-Anhalt enthielten nach ihrer Auffassung bereits Ansätze für eine genauere Analyse von Problemen aus der Frauen- bzw. Geschlechterperspektive. Anregungen und Präzisierungen dazu erwarte sie vor allem von der Landesgesundheitskonferenz am 6. März 2002 in Magdeburg. Im Grunde gelte es die Erkenntnis durchzusetzen, daß gender mainstreaming nicht allein ein Frauenthema ist, sondern zu einer umfassenden, alle Bereiche einschließenden Gesamtstrategie in der Gesundheitspolitik entwickelt werden muß. Ein modernes Gesundheitsverständnis sei auf das Wohlbefinden insgesamt ausgerichtet, gehe über die bloße Abwesenheit von Krankheit hinaus. Insofern spielten Initiativen wie z.B. "Gesunder Betrieb", Gesunde Schule", "Gesunder Kindergarten" eine große Rolle.
In der Diskussion ging es zunächst - und das war zu erwarten - um den generellen Stellenwert von gender mainstreaming im Gesundheitsbereich. Dabei gab es viel Zustimmung, aber auch Skepsis. So unterstützte Monika Heinrich (Frauenpolitischer Runder Tisch der Stadt Halle) den Vorschlag von Moderatorin Dr. habil. Viola Schubert-Lehnhardt (ELBE-SAALE e.V.), das Thema durch eine gemeinsame Initiative in den Landtag von Sachsen-Anhalt einzubringen. Nach ihrer Erfahrung habe man in vielen Einrichtungen, Vereinen und Verbänden noch nicht einmal den Begriff gehört. Deshalb müsse er stärker in die Diskussion gebracht werden. Vor allem für Frauen gehe es darum, mehr Engagement und Selbstbewußtsein zu zeigen. Inés Brock äußerte sich in bezug auf gender mainstreaming eher skeptisch. Im Kern werde dadurch die Spitze der Frauenspezifik "abgehackt". Auch in der aktuellen Ethik-Debatte sei eine Zurückdrängung frauenspezifischer Aspekte zu beobachten. In Frauengesundheitsberichten kämen beispielsweise Probleme des Geburtengeschehens zu kurz. Aus ihrer Sicht brauche Sachsen-Anhalt wieder eine eigene Leitstelle für Frauenpolitik. Frauen und Männer sollten sich - so Brock zugespitzt - um ihre Dinge selbst kümmern. Die Quotenregelung biete genügend Möglichkeiten. Dieser Argumentation wurde mehrfach entgegengehalten, daß mit gender mainstreaming ein Perspektivenwechsel eintrete. Hier gehe es um mehr als nur um die Frauenspezifik. Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern dürften nicht mehr voneinander isolierte Maßnahmen bleiben, sondern müßten zur Querschnittsaufgabe werden, die alle Politikfelder berührt. Deshalb sei in Sachsen-Anhalt auch das erste Gender-Institut (GISA) geschaffen worden.
Auf die strukturverändernde Komponente von gender mainstreaming wies u.a. auch Sigrid Kautz (Gleichstellungsbeauftragte, Regierungspräsidium Halle) hin. Es gehe nicht um eine Absage an spezielle Frauenförderpolitik, sondern um eine neue Qualität. Diesen modernen Ansatz speziell im medizinischen Bereich umzusetzen, erfordere Zeit.
Frauen wüßten zu wenig über ihre Rechte und Möglichkeiten, isolierten sich oft selbst - so die Gleichstellungsbeauftragte von Halberstadt. Sie müßten sich stärker einmischen, damit Angebote für sie auch weiterhin gefördert werden. Für Inge Sliep (Berliner Netzwerk für Frauengesundheit/AKF) wäre eine geschlechtergerechte, paritätische Zusammensetzung von Entscheidungsgremien im Gesundheitswesen zur Realisierung von Fraueninteressen notwendig. Insbesondere an Hochschulen und Universitäten käme Frauenförderprogrammen, die den Weg von Frauen in die Leitungsebenen unterstützten, große Bedeutung zu.
Einig war sich der Teilnehmerkreis darin, daß neben bereits bekannten Problemen, die von der Gesundheitsversorgung bis zur Aus- und Weiterbildung medizinischen Personals (z.B. Einführung der Fortbildungspflicht) reichen, vor allem Fragen der Prävention und Gesundheitsförderung zur Debatte stünden. Auf der Grundlage einer Gesundheitsberichterstattung, die den sozialen Hintergrund (Arbeitslosigkeit, Familienbelastung u.a.) von Gesundheit und Krankheit deutlicher macht, könne die Förderung des präventiven Ansatzes längerfristig zur Kostenreduktion beitragen. Nicht hinzunehmen sei beispielsweise, daß Sachsen-Anhalt die höchste Ablehnungsquote bei Mutter-Kind-Kuren aufweist oder Beratungsmöglichkeiten weiter eingeschränkt werden.
Über die Bedeutung von gender mainstreaming für eine zukunftsfähige Gesundheitspolitik und entsprechende Umsetzungsstrategien wird weiter zu diskutieren sein - nicht nur im Vorfeld der Wahlen, sondern auch danach. Auf die Unterstützung von Akteuren des Gesundheitswesens bleibt bei diesem begonnenen Prozeß zu hoffen.

Projektgruppe "Wertewandel im Gesundheitswesen"

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