Das bedingungslose Grundeinkommen – ein völlig neuer Weg zu sozialer Gerechtigkeit!?

»Im Zentrum eines realistischen Umbaus des Sozialstaates steht eine große Sozialreform: … eine umfassende Bürgerversicherung mit integriertem Grundeinkommen erscheint uns als Schlüsselprojekt.«
Katja Kipping, Michael Opielka, Bodo Ramelow
(in: Thesen für einen neuen Sozialstaat, UTOPIE kreativ, 186 (April 2006))

Die Idee eines allen ohne Bedürftigkeitsprüfung – bedingungslos – zustehenden Grundeinkommens hat etwas faszinierendes, ja geradezu revolutionäres, und doch ist es vor allem unter den Linken heftig umstritten. Auf der anderen Seite findet es ironischerweise auch unter Wirtschaftliberalen wortgewaltige Verfechter, wie den Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von dm-drogerie markt, Götz Werner.
In Kern geht es um eine grundsätzliche Umstellung der unter Bismark eingeführten sozialen Sicherungssysteme, die in ihren drei Säulen, Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung, auf Anrechten basieren, die durch Arbeitsleistungen erworben werden müssen. Wenn der Gesellschaft jedoch die (bezahlte) Arbeit ausgeht, dann werden zwangsläufig diejenigen, die keine Arbeit mehr finden können, aus diesen Systemen ausgeschlossen. Gleichzeitig wird aber die Gesellschaft immer reicher.
Dieser Reichtumszuwachs ist jedoch nicht zuletzt Folge der gestiegenen Arbeitsproduktivität, die wiederum das positive Ergebnis all jener Leistungen ist, die unsere Vorväter und –mütter für die Gesellschaft erarbeitet haben. Weil also der Großvater mitgeholfen hat, die Produktivität zu steigern, so daß immer weniger Arbeit nötig ist, um eine wachsende Menge von Gütern zu erzeugen, ist die Arbeitskraft seines Urenkels heute überflüssig. Statt besser einem besseren Leben, droht der Absturz in die Armut, die hierzulande Hartz IV heißt.
Was liegt also näher, als in einer durch die Arbeit vergangener Generationen produktiv und reich gewordenen Gesellschaft einen gerechten Anteil am Reichtum bedingungslos auch für jene bereitzustellen, die heute »nicht mehr gebraucht werden«? Genau das will das Konzept vom bedingungslosen Grundeinkommen. Und genau das wird aus den unterschiedlichsten Gründen – auch und gerade von Linken – heftig kritisiert, weil es wirtschaftlich nicht machbar sei und moralisch nicht akzeptiert werden würde.

»Bevor wir über ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutieren und da möglicherweise um Mehrheiten kämpfen, müssen wir uns um ein arbeitsbezogenes Grundeinkommen kümmern. Das heißt, wenn ich mich zu einem vorleistungsbezogenen Mindesteinkommen hin bewege, dann würden sich möglicherweise später auch Möglichkeiten für ein vorleistungsfreies Mindesteinkommen ergeben.«
Ottmar Schreiner (in: Freitag, Nr. 45)

Das Revolutionäre am bedingungslosen Grundeinkommen ist seine Abkehr von der Arbeitsabhängigkeit. Es versteht sich als radikale Alternative zur Arbeitsverpflichtung der Leistungsgesellschaft. Indem Arbeit und Einkommen vollständig entkoppelt werden, stellt es den denkbar radikalsten Bruch mit jeder auf Erwerbsarbeit basierenden Art und Weise der Verteilung, aber auch mit dem Leistungsprinzip dar. Seinen Befürwortern zufolge ist es kein sozialpolitisches Projekt, das die Defekte der kapitalistischen Marktwirtschaft und der Arbeitsgesellschaft repariert, sondern ein völlig neuer Weg zu sozialer Gerechtigkeit, der über die bestehende Gesellschaft hinausweist.
Linke Kritiker betonen jedoch vehement, dass damit keineswegs nur der kapitalistische Arbeitszwang – die Disziplin des Hungers – unterminiert würde. Vielmehr untergrabe es zugleich jeglichen Zusammenhang zwischen Arbeit und Verbrauch. Es verkörpere damit nicht nur eine Alternative zum Kapitalismus, sondern zu jeder auf Erwerbsarbeit und Arbeitsleistung basierenden Gesellschaft – es handelt sich also um ein radikal-revolutionäres Konzept, das die Grundfesten menschlicher Existenz umzuwälzen trachte.
Als eine Kopernikanische Revolution der menschlichen Existenzweise hängt der Erfolg der Idee von bedingungslosen Grundeinkommen daher wesentlich von der allgemeinen Akzeptanz in breiten Kreisen der Bevölkerung ab. Und gerade die scheint nicht gegeben. Die gleiche leistungsorientierte Teilnahme am Arbeitsprozess bestimmt maßgeblich das Gerechtigkeitsempfinden der Lohnabhängigen. Diesem fundamentalen moralischen Maßstab würde das bedingungslose Grundeinkommen zuwiderlaufen. Es ermöglicht einigen den Ausstieg aus der Erwerbsarbeit, während andere die dafür notwenige Mehrarbeit zu leisten hätten. Das, so betonen die Kritiker, mache das Konzept weder ethisch akzeptabel, noch ökonomisch tragfähig und schon gar nicht finanzierbar.

»Die Menschenwürde wird mißachtet, wenn man Millionen unter Druck setzt, 30, 40, 100 Bewerbungsschreiben pro Jahr loszulassen, obwohl auf dem Arbeitsmarkt gar keine Arbeitsplätze zu Verfügung stehen. Deshalb ein heftiges Plädoyer dafür … dass man grundsätzlich die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert.« Christian Ströbele (in: Freitag, Nr. 45)

Freiheit statt Vollbeschäftigung heißt die Devise der liberalen Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens. Wenn schon die Produktivität der Arbeit es möglich mache, dass nicht mehr alle immer arbeiten müssen, dann muss es denen, die wollen, möglich gemacht werden, sich selbst zu verwirklichen. Damit wendet sich dieses Konzept insbesondere gegen den Ruf nach einer unerlässlichen Disziplinierung des Bürgers, der angeblich unablässig von den Gegnern des Konzepts ins Feld geführt werde. Der Mensch jedoch werde nicht durch Arbeitszwang zu einem wertvollen Mitglied ein einem Gemeinwesen, sondern durch die Anerkennung seiner Tätigkeit. Allein schon der Drang, von der Gesellschaft anerkannt zu werden, sei völlig ausreichend, Menschen zum Mittun zu begeistern. Niemand müsse um den Untergang von Leistungswille und Arbeitsbereitschaft fürchten, wenn jedem (der es wünscht) ein – freilich minimaler – Lebensunterhalt ohne Arbeitsgegenleistung zu Verfügung gestellt würde.
An dieses Konzept knüpfen Teile der GRÜNEN, aber vor allem die FDP an, die ein Bürgergeld für alle Bedürftigen fordern. Es soll alle bisherigen sozialen Transferleistungen ersetzen. Durch die Zusammenfassung von Hilfe zum Lebensunterhalt, Wohngeld, Beihilfen zur Kranken- und Pflegeversicherung, Arbeitslosengeld usw. würde eine Art Mindesteinkommen ermittelt, das die Bedürftigen auf einem eher erbärmlichen Grundsicherungsniveau ruhig stellt und sie faktisch von aller weiteren Teilhabe an der gesellschaftlichen Reichtumsentwicklung ausschließt. Für die Sicherung des Überlebens müssten alle weitergehenden Ansprüche auf Förderung durch die Gesellschaft abgetreten werden. Weil damit auch die Bildungschancen der Kinder aus sozial schwachen Familien auf ein Minimum reduziert würden, würde die Zugehörigkeit zur <Unterschicht> quasi verewigt. Auch das könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen bewirken…

Zum Thema :
Bedingungsloses Grundeinkommen –Ziele, Modelle, Kontroversen
veranstaltet der Bildungsverein Elbe-Saale:
am Donnerstag, den 6. Dezember, 17:00 Uhr
im Haus der Gewerkschaften, Magdeburg, Otto-von-Guericke-Str. 6
eine Diskussionsrunde
mit Werner Steinbach (attac, Frankfurt/M)

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